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Rezension Karin Kalisa „Fischers Frau“

Wir knüppen und wäben en Teppich för ́t Leben“ lautet die erste Zeile eines plattdeutschen Teppichknüpferliedes. Karin Kalisa hat für ihren Roman „Fischers Frau“ eine spannende und selbst in Norddeutschland kaum bekannte Geschichte bearbeitet.

Bei Recherchen sei sie zufällig auf die wenig bekannte Geschichte der Fischerteppiche gestoßen, das Politische an der Geschichte habe sie interessiert, sagt die Autorin in einem Interview. Der historische Rahmen für ihren Roman ist recherchiert und verbürgt, die Personen und die Handlung sind fiktiv.

Das Titelbild zeigt zwei Frauen, Mia und Nina, deren Geschichten erzählt werden. Das Blau steht für die See, das besondere Grün in vielen Nuancen steht für den einen besonderen Fischerteppich, um den es geht. Der Titel selbst erinnert an das alte Grimmsche Märchen „Der Fischer und seine Frau“.

Die historischen Fakten: Ostseefischer haben vor rund 100 Jahren nicht nur Netze, sondern auch Teppiche geknüpft. Eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die sich 1928 ein findiger so-zialdemokratischer Landrat ausgedacht hat, um auf diese Weise das Überleben der Fischerfamilien während eines dreijährigen Fischfangverbotes zu sichern. Er meinte, wer Netze knüpfen könne, der könne schließlich auch engmaschigere Volkskunst erschaffen. Ein mutiger, ungewöhnlicher Schritt. Die Fischer und Fischerinnen bildeten eine Genossenschaft, die sich selbst um die Vermarktung kümmerte.

Die alten Fischerteppiche hängen heute in Museen und Heimatstuben in Greifswald, Freest und Wolgast. Jeder Quadratmeter besteht aus 57600 einzelnen Knoten. Zur Zeit des Nationalsozialismus war diese norddeutsche Volkskunst sehr beliebt, sie wurde vereinnahmt, plötzlich wurde aus dem gewebten Motiv des Dreifisches ein Vierfisch, dem Hakenkreuz nachempfunden. Fischerteppiche hingen im Hamburger Rathaus und in der Deutschen Botschaft in Japan.

Karin Kalisa hat sich in den umfangreichen Nachlass Rudolf Stundls im Dresdner Archiv eingelesen. Stundl war der österreichische Tapisserist, der an die Ostsee kam, die regionalen Motive der Ostseelandschaft wie Stranddistel, Vieranker, Achtfischrosette entwarf, die Fischer die handwerkliche Technik des Teppichknüpfens lehrte und maßgeblich für den Erfolg der pommerschen Teppichkunst verantwortlich war. Er hat diese Geschichte aufgeschrieben. Die Autorin hat sich entschieden, nur „das Setting zu nehmen, wie es ist, es zu bewahren und nichts zu verfälschen, aber in Schuss und Kette und Webrahmen eine erfundene Geschichte hineinzuknüpfen.“

Die Geschichte: Mia Sund ist Faserarchäologin und arbeitet als Museumskuratorin in Greifswald. Sie hat sich ihr Leben, in dem schon so einiges falsch gelaufen ist, nun ruhig eingerichtet: unauffällig, absehbar, irgendwie „mittel“ – das war die Wunschvorstellung für ihre Tage, Monate, Jahre. Eine Art Büropflanzenexistenz.

„Nicht, dass es eine Fälschung ist!“ Dieser Satz und ein zusammengerollter grüner Teppich, den ihr ein Kollege zur Begutachtung bringt, sorgen dafür, dass das generalberuhigte Leben für Mia Sund vorbei ist. Da liegt nun dieser Teppich auf dem Schreibtisch der Faserarchäologin. Ein schimmernder Wimmelkosmos mit Ostseemotiven. Ein echter Fischerteppich auf den ersten Blick, aber einer ohne die typisch herben Erdfarbtöne. Er ist besonders, vor allem durch dieses besondere Grün in vielen Nuancen. Mia Sund wechselt immer wieder die Perspektive, um das Geheimnis in diesem geknüpften Bild zu entdecken. „Aus den Koggen waren Geisterschiffe geworden, die piratenhaft aus einem grünen Nebel aufstiegen und Flagge zeigten. Fische in winzigen Dreier-, Vierer- und Fünferschwärmen, Seesterne, aber auch vogelartige Wesen, seltsame Blüten – alles auf berückende Weise winzig… Eine Miniaturunterwasserwelt – viele Faden tief… Hier war das ganze Repertoire der Fischerteppiche verknüpft worden. Ein Mustermuseum hatte sie hier vor sich. Ein fantastisches Meeresmuseum noch dazu. Und sie die einzige Besucherin!“

Mia, die Faserarchäologin aus dem Heute entdeckt auf dem grün schimmern-den „Perser von der Ostsee“ eine Borte mit dem Namen einer Knüpferin aus dem Vorgestern: Nina.

Nun kommt Bewegung in Mias Leben. Zum ersten Mal nach vielen Jahren beantragt sie eine Dienstreise, formuliert Anträge, nach Zagreb führt Ninas Spur. Mia macht sich quer durch Europa auf die Suche nach der Knüpferin und ihrer Botschaft, die die alte Erzählung vom Fischer und seiner Frau auf den Kopf stellt. Der Roman springt zwischen den Zeitebenen und nach und nach erfährt man Mias und Ninas Geschichte.

Wie Mia hat auch Nina ihren Namen abgelegt, ihre Vergangenheit getilgt, geht in den 20er-Jahren an die Ostsee und wird eine Scheherazade der Fischerhütten: Sie erzählt, während die anderen knüpfen. Ein stolzer Fischer am Webstuhl sagt: „Dascha nu der feine Unterschied… Im Märchen wird vom Fischer un sine Fru vertellt, bei uns vertellt Fischers Fru“. Wieder ein sehr vielschichtiger Roman von Karin Kalisa, sehr zu empfehlen!

Sehr gut gefallen haben mir auch ihre Romane „Sungs Laden“ und „Bergsalz“.

Susanne Schüring-Pook

Titelbild des Romas Fischers Frau von Karin Kalisa

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