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Atem – Wind – und Geist, der Leben schafft: Luftzüge in der Bibel

Wer in einer gewöhnlichen Konkordanz (also einem Stichwort- und Stellenverzeichnis) zur Lutherbibel nach dem Begriff „Luft“ sucht, wird enttäuscht. Außer einigen wenigen, durch Martin Luthers Bibelübersetzung geprägten Redensarten wie „sich Luft machen“(Hiob 32,20) oder „in die Luft schlagen“ (1.Kor 9,26) kommt „die Luft“ in der Bibel nur an zwei Stellen im Neuen Testament überhaupt vor – jeweils um den den Menschen der Antike unzugänglichen Luftraum über der Erde zu bezeichnen, der aber – anders als der Himmel – deshalb erstaunlicherweise nicht als Herrschaftsbereich Gottes gedacht wird. Im Gegenteil – der Epheserbrief, wohl in der Generation nach Paulus von einem seiner Schüler verfasst, vermutet als „mächtigen Herrscher der Luft“ (Eph 2,2) vielmehr geradezu den Satan als den Gegenspieler Gottes, der aus der Luft heraus die Ungläubigen  lenkt. Und für Paulus selbst kommt die Luft als erlebbarer Luftraum erst in der Zukunft ins Spiel – dann, wenn Christus sichtbar vom Himmel her wiederkommen wird und die zu ihm gehörigen Gläubigen von der Erde „ihm entgegen in die Luft“ entrückt (1.Thess 4,17). Vorstellungen, die uns, die wir fast alle schon mal den Luftraum mit einem Flugzeug durchquert haben, fremd vorkommen. „Über den Wolken“ ist die Freiheit zwar auch nicht grenzenlos, und ökologisch (das wissen wir alle) bringt der Luftverkehr auch eine Menge Probleme mit sich – aber in der Luft einen prinzipiell gottfernen, weil von Menschen nicht betretbaren Raum zu vermuten: dem können wir so nicht mehr folgen.

Wie ist es aber mit der Luft als Element? Die Luft an sich ist für die biblischen Berichte uninteressant und wird eben deshalb auch nirgends erwähnt. Und doch kommt in der Bibel die Luft – wie auch schon die Erde und das Wasser – ins Spiel: nämlich da, wo es um die Schöpfung, und zwar konkret um die Erschaffung des Menschen geht. Der sog. zweite Schöpfungsbericht der Bibel aus 1.Mose 2 (in Wahrheit mit Sicherheit der ältere der beiden biblischen Schöpfungsberichte) erzählt bekanntlich davon, wie der erste Mensch von Gott aus dem Grundstoff „Erde“ geformt wird. Aber dieser Grundstoff ist nicht aus sich selbst heraus lebens-fähig: so, wie auch der Erdboden nicht aus sich selbst heraus in der Lage ist, ein Ort des Lebens für die Pflanzen zu sein (da muss erst das lebensspendende Wasser dazukommen und die Erde tränken), so kann auch der aus der Erde geformte Mensch nicht von selber lebendig sein – und da muss nun Luft dazukommen, aber nicht einfach Luft, sondern Luft von Gott – der Atemhauch Gottes, der den Erdling Mensch erst zum Leben erweckt. Beides – die Lebendigmachung des Erdbodens und die Lebendigmachung des Menschen geschieht parallel: „Gott der Herr hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; aber ein Strom stieg aus der Erde empor und tränkte alles Land. Da machte Gott der Herr den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.“(1.Mose 2,5-7)

Weil die Bibel vom Menschen her denkt – und zwar vom Menschen in seiner Abhängigkeit von seinem Schöpfer, darin allen übrigen Lebewesen gleichgestellt -, darum geht es, wenn es in ihr um die Luft geht, also fast immer – um den Atem. Dieser Atem ist es, der den Menschen als lebendig erweist – und darin ist der Atem zugleich in besonders herausgehobener Weise eine Gabe Gottes an die Menschen, denn Gott ist es, „der Menschen auf Erden Atem gibt und Odem allen, die auf ihr gehen“(Jes 42,5). Das aber gilt so nicht nur für den Menschen, sondern für alle Lebewesen, ist doch Gott „der Gott des Lebensodems für alles Fleisch“(4.Mose 16,22). Ein Gedanke, wie ihn dann besonders der große Philosoph des Alten Testaments, der sog. Prediger Salomo oder Kohelet, in seinem Buch breit ausführt: „Es geht dem Menschen wie dem Vieh, sie haben alle einen Odem, und der Mensch hat nichts voraus vor dem Vieh“, und darum: „Wie dies stirbt, so stirbt auch er.“(Pred 3,19). Oder, wie es der großartige Schöpfungspsalm 104 diese allumfassende Atem-Abhängigkeit alles Lebendigen von Gott formuliert:

„Es wartet alles auf dich, dass du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit.

Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie;

nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub.

Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen,

und du machst neu das Antlitz der Erde.“ (Ps 104,27-30)

Ein biblischer Gedanke, der mir bemerkenswert erscheint und mich bewegt: Gerade das, was uns Menschen auf elementarste Weise mit Gott verbindet – dass wir von ihm den Atem haben – gerade das ist es zugleich auch, was wir mit allen anderen Lebewesen gemeinsam haben: unser gemeinsamer Odem – es ist sein Odem. Jeder Luftzug kann mich an diese zweifache Verbundenheit des Lebens mit Gott und alles Lebendigen untereinander erinnern.

Dabei geht das hebräische Wort, das auch in der neuen Lutherbibel in der Regel wieder mit dem altertümlich klingenden deutschen Wort „Odem“ übersetzt wird, in seinem Bedeutungsgehalt über den bloßen „Atem“ weit hinaus. ‚Ruach‘ ist im Hebräischen (das von den Tätigkeitsworten her denkt) eigentlich alles, was pustet, haucht, schnaubt oder weht, also auch der „Wind“ (und zwar, wie mein altes Hebräischwörterbuch es so schön formuliert, „sowohl das leise Lüftchen als der heftigste Sturmwind“) – also die neben dem „Atem“ sozusagen zweite elementare Erscheinungsform von Luft im Alten Testament. Wind wird dabei in der Bibel nicht in jedem Fall, aber doch oft direkt auf Gott als Urheber zurückgeführt. So singt das Volk Israel im dankbaren Rückblick auf den Durchzug durch das Rote Meer: „Durch den Wind aus deiner Nase türmte sich das Wasser auf“(2.Mose 15,8, wörtlich übersetzt). Und die Anhänger des Propheten Elia, die ihren verschwundenen Lehrer suchen, befürchten: „dass nur nicht der Wind des Herrn ihn fortgetragen und auf einen der Berge oder in eines der Täler verschlagen hat!“(2.Kön 2,16) – eine Stelle, in der das Wort ‚ruach‘ in den den meisten Bibelübersetzungen schon mit „Geist“ Gottes übersetzt wird (obwohl hier offensichtlich ein echter – wenn eben auch ein in besonderer Weise von Gott gesandter – Luftzug gemeint ist.)

So wird ‚ruach‘ als das umfassende biblische Wort für alle Arten von wehender Luft – egal ob „Atem“, „Odem“ oder „Wind“ – schließlich zum „Geist“: zum Geist Gottes, der nun – wehend, hauchend und beatmend – selbst da Leben neues schaffen kann, wo nur noch Tod zu herrschen scheint, so in der berühmten Vision des Propheten Ezechiel von der Lebendigmachung der Totengebeine, ein Bild für die Wiederherstellung des Gottesvolkes durch den Geistwind Gottes: „Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret des Herrn Wort! So spricht Gott der Herr: Siehe, ich will Odem in euch bringen, dass ihr wieder lebendig werdet. So spricht Gott der Herr: Odem, komm herzu von den vier Winden und blase diese Getöteten an, dass sie wieder lebendig werden! Und da kam der Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig.“ Gottes Atem, Gottes Geist – der Lebensluftstrom Gottes: hier wird er vielleicht zum ersten Mal zu einem Synonym für Gott selbst.

Wie sehr auch die neutestamentliche Vorstellung vom Geist Gottes noch von diesen „luftigen“ Gedanken geprägt ist, zeigt sich ganz deutlich am Ende des Johannesevangeliums. Da ist es der auferstandene Jesus, der seine Jünger aussendet und ihnen den Heiligen Geist verleiht – indem er sie mit seinem Atem anpustet: „Da blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“(Joh 20,22) Eine göttliche Mund-zu-Mund-Beatmung gewisssermaßen, die der Kirche erst schöpferisch zum Leben verhilft – wie am ersten Tag, als Gott den Menschen erschuf und ihm den Lebensodem in seine Nase blies.

Daran denke ich, wenn ich mir Zeit zum Beten nehme und dabei, statt viele Worte zu machen, einmal konzentriert einfach auf meinen Atem achte und so mein Atmen mit meinem Gebet verbinde: „Herr Jesus Christus“ bei jedem Einatmen – „erbarme dich meiner“ bei jedem Ausatmen. Das Herzensgebet, auf den eigenen Atem gelegt – eine alte Gebetstradition, die aus dem Bereich der orthodoxen Kirchen kommt, inzwischen aber auch in geistlichen Zentren bei uns geübt wird. Durch mein Atmen lässt der Lebendige mich zur Ruhe kommen, schenkt er mir Leben.

Frank Erichsmeier

Foto Frank Erichsmeier
Kirchenvorstandsvorsitzender Pfarrer Frank Erichsmeier

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